Der Aufstieg Tribaler Epistemologie

Tribale Epistemologie

In den letzten zwei Jahren hat sich die Art, wie wir Informationen verarbeiten und bewerten, drastisch verändert. Oder besser gesagt, es ist uns bewusst gemacht worden, was eigentlich schon lange davor da war. Schlagwörter wie „Lügenpresse“, „Fake-News“, „Filterblasen“ und „Echokammern“ dominierten eine Zeit lang den politischen Diskurs. Kommentatoren haben klugerweise erkannt, dass ein Hauptproblem unserer Informationsaufnahme die beschränkten Quellen sind, die viele Menschen haben. So paradox es klingt, aber in Zeiten, wo man innerhalb von Sekunden jede Information im Internet recherchieren kann, verlassen sich sich viele auf die abonnierten Facebookseiten, die Gratiszeitung in der U-Bahn oder das etablierte Medienunternehmen. Außerhalb der eigenen „Bubble“ wird selten etwas wahrgenommen. Das geht in einigen Fällen sogar so weit, dass neue Informationen nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt bewertet werden, sondern wer der Absender ist. Und dafür gibt es in der Philosophie einen Namen: Tribale Epistemologie

Der eigene Stamm

Zur Begriffserklärung: Epistemologie ist in der Philosophie die Erkenntnistheorie, also wie ein Mensch zu Erkenntnis, Wissen und Informationen gelangt. In ihr wird auch untersucht, wie ein Mensch Informationen klassifiziert und bewertet. Tribal hingegen kommt vom Lateinischen Wort „tribus“, welches Stamm bedeutet. Laut tribaler Epistemologie bewerten Menschen Informationen also anders, wenn sie von unterschiedlichen „Stämmen“ kommen. Kommt die Information vom eigenen Stamm, wird ihr eher geglaubt als wenn sie von einem anderen Stamm kommt.

Kreation des eigenen Weltbilds

Dieser Effekt geht runter bis auf das Individuum und wurde auch von Psychologen schon analysiert, dort hat es den Fachbegriff „Kognitive Dissonanz“. Darunter versteht man, dass es zu geistigen Konflikten und Spannungen kommt, wenn eine Information das Gehirn erreicht, welche nicht in das eigene Weltbild und Selbstbild passt. Wir können uns Informationen besser merken, wenn sie mit unserem Weltbild, aber auch mit dem bisher gelernten und erfahrenen kohärent sind. Dieser Effekt läuft unbewusst ab, meistens merken wir es gar nicht, dass wir in einem Zeitungsartikel eine Information übersprungen haben, die nicht ganz ins unser Bild passt.

Jetzt hat in Österreich die Rechte (des Politikspektrums) eine ganz ausgefallene Taktik entwickelt, um diese kognitive Dissonanz bei ihren Anhängern und Parteifunktionären zu verhindern. Sie haben sich ein eigenes kohärentes Weltbild erschaffen und gleichzeitig einen medialen Apparat, der dieses Weltbild immer wieder wiederholt. So wurden Onlinemedien wie „unzensuriert.at“ oder „info-direkt“ von aktuellen und ehemaligen FPÖ-Parteifunktionären gegründet, die bewusst so aussehen sollen, als seien sie seriöse Medien. In Oberösterreich zirkuliert der sogenannte „Wochenblick“, eine Wochenzeitung, bei der es als Extra schonmal ein Pfefferspray (welches unter das Waffengesetz fällt) gab. Und sogar einen eigenen Fernseh- und YouTube Kanal namens „FPÖ-TV“ (in dessen Logo Südtirol Teil von Österreich ist) gibt es. Und alle Medien wiederholen de facto dieselben Nachrichten wieder und wieder.

Angriff auf die Institutionen

Auf diesen Seiten (und auf den offiziellen Facebook Seiten von FPÖ Politikern) gibt es beinahe täglich Angriffe auf eine der großen Institutionen, welche das demokratische Getriebe am Laufen halten: Medien, Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Angriffe auf Medien sind beinahe schon ein „Klassiker“ unter den Rechten, legendär das „Lügenpresse“ Gepöbel der Pegida Anhänger in Dresden und anderen Städten. Und auch in Österreich gibt es immer Attacken auf den ORF „der sowieso von der SPÖ kontrolliert wird“ und auf den rechten Seiten ohnehin nur „Rotfunk“ genannt wird. Auf unzensuriert.at gibt es gar eine eigene Rubrik mit dem Namen „Fake-News“, in dem jedes Medium Österreichs angegriffen wird, das es wagt, die „Integrität“ von unzensuriert.at zu bezweifeln. Am häufigsten landen der Falter, Puls4, der Standard und Profil in dieser Kategorie.

Auch die Wissenschaft wird in der rechten Blase immer wieder attackiert. Jede Studie, die Beweise und Fakten gegen bestimmte FPÖ Argumente liefert, ist ausnahmslos gekauft, gefälscht und manipuliert. Die Wissenschaftler dahinter alle links und finanziert von der Regierung, die „die Wahrheit unterdrücken will“. Von den Vorwürfen, dass an Universität „linke Gehirnwäsche“ stattfinde, ganz zu schweigen. Selbst Statistiken kriegen ihr Fett weg. Das Zitat „traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“, ist beinahe schon obligatorisch unter Kriminalitäts- und Asylstatistiken. Oft wird dieses Zitat Winston Churchill zugeschrieben, der damit die geschönten Statistiken Adolf Hitlers kommentierte. Tatsächlich ist der wahre Autor des Zitates unbekannt. Nichtsdestotrotz ist das Zitat ein plumper und infantiler Versuch, wissenschaftliche Daten und mit Akribie bereitete Statistiken, die die eigenen Aussagen widerlegen, als manipuliert darzustellen.

Besonders seit der sogenannten Flüchtlingskrise ist auch die Zivilgesellschaft, freiwillige Helfer, NGOs, karitative Einrichtung und ehrenamtlich engagierte Bürger eine Zielscheibe der Attacken. So wurden Flüchtlingshelfer von Anfang als „Bahnhofsklatscher“, „Teddybärenwerfer“ oder gar als Schlepper beschimpft und beleidigt. Menschen, die ihre Freizeit dafür aufgegeben haben, anderen zu helfen. Neuerdings werden auch NGOs, die Menschen vor dem Ertrinken und vor Seenot retten, als kriminell abgestempelt, indem sie Beihilfe zur Schlepperei betreiben. Beweise dafür konnte noch nie einer vorlegen, im Gegenteil, mehrere Studien haben unabhängig voneinander das Gegenteil bewiesen. Und um das Weltbild des „kriminellen Helfers, der die Massenmigration und Schlepperei unterstützt“ aufrechtzuerhalten, wurden diese Studien dann, wie oben bereits erwähnt, einfach als gefälscht und manipuliert abgestempelt. Und tada! Fertig ist die kohärente Ideologie.

Alles Lügner außer meine Leute

Doch auch von der liberalen Gegenseite gibt es ähnliche Tendenzen. So ist es schon oft vorgekommen, dass Menschen, die Artikel von oe24.at oder der Kronen Zeitung als Beweis für ihre Theorien hervorbracht hatten, beschimpft wurden. „In der Krone und in der Österreich stehen eh nur Lügen!“, heißt es dann. Und während es stimmt, dass diese Blätter schon oft aufgefallen sind, dass sie gelogen, gehetzt, Angst verbreitet und Fakten verzerrt haben, sollte man nicht alles als Lüge abtun. Damit macht man es sich zu leicht.

Trotzdem sind die Angriffe von Rechts qualitativ und quantitativ stärker. Und gefährlicher. Wie schon erwähnt, sollen die Institutionen der Gesellschaft zerstört werden, da alles als „System“ angesehen wird, das gegen die FPÖ arbeitet. Es ist ein klassisches Wahlkampfmanöver, sich in die Rolle des Underdogs zu versetzen, der vom Großen gegängelt und diskriminiert wird. Aber es ist ein gefährliches. Es schafft Misstrauen und untergräbt die Autorität eben jener Institutionen. Gleichsam treibt es die Polarisierung der Gesellschaft voran. Jeden, der nicht mit einem zu 100% übereinstimmt als Lügner darzustellen und nur den eigenen Leuten zu glauben schafft den gefährlichen Fall, dass man keine gemeinsame Faktenbasis mehr hat. Diskussionen und Konsens werden dadurch unmöglich. Überparteiliche Institutionen wie der Rechnungshof oder andere Institute, welche die Auswirkung bestimmter Politiken berechnen, werden auch nicht mehr akzeptiert. Ein Vorgeschmack, was uns erwarten könnte, zeigen die USA.

Dort begann der Aufstieg Tribaler Epistemologie bereits in den 90er Jahren und ging so weit, dass die Republikaner das Office of Technology Assessment (OTA) schließen ließen. Das OTA hatte zur Aufgabe, die Reformen und Gesetzesvorschläge auszuwerten, und war dabei spezifisch als überparteilich deklariert. Doch den Republikanern, allen voran Newt Gingrich, passte es nicht, dass die Berechnungen des OTAs kein gutes Haar an ihren Vorschlägen ließen. Anstatt bessere Gesetze zu erlassen, die ein wenig von der Ideologie abweichen, wurde das OTA geschlossen, um Widerstand im Keim zu ersticken. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis den Republikanern auch das Congressional Budget Office (CBO), welches eine ähnliche Aufgabe erledigt, ein Dorn im Auge ist.

Die Konsequenzen daraus dürften sein, dass Politiker nicht mehr Politik für das Land und dessen Bewohner machen, sondern zur Selbstbestätigung ihrer Basis. Die Politik verkommt so zu einem Zirkus, in dem es nur noch darum gehen würde, die Weltbilder der eigenen Anhänger zu bestätigen und den Gegner zu verteufeln. Aber Reformen, die dringend notwendig sind zur Verbesserung des Lebensstandards, zum Umweltschutz oder zur Belebung der Wirtschaft, wird es dann keine mehr geben. Nur noch Symbolpolitik, die Probleme, die von der eigenen Ideologie kreiert wurden, lösen will. Mit Maßnahmen, die nicht kompatibel mit den Menschenrechten oder der Verfassung sein müssen, sondern mit dem Weltbild der Partei.

Titelbild: By Virginia State Parks staff (Nansemond Indians Uploaded by AlbertHerring) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

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